Redebeitrag von Stadtrat Klaus Neunhöffer anlässlich der Gedenkveranstaltung zum 9. November

Eine solche Veranstaltung am 9. November nimmt zu allererst das Jahr 1938 in den Blick....

12.11.22 –

Redebeitrag des Fraktionsvorsitzenden Klaus Neunhoeffer zur Gedenkveranstaltung am 9.11.2022 am Schwabacher Rathaus

 

Zu dieser Gedenkveranstaltung begrüße ich Sie alle.

Eine solche Veranstaltung am 9. November nimmt zu allererst das Jahr 1938 in den Blick.

Die Nationalsozialisten inszenierten an diesem Abend einen flächendeckenden Pogrom gegen Jüdinnen und Juden sowie jüdische Einrichtungen in Deutschland. In den mehr als 5 Jahren der NS-Diktatur bis zu diesem Tag hatten Antisemitismus, Rassismus und antidemokratische Politik in Deutschland den Boden bereitet für diese Schandtaten.

Die Gräuel liefen in allen Städten und größeren Gemeinden nach dem gleichen Muster und nach den Anweisungen von SA, SS und NSDAP ab. Fast alle Synagogen brannten, die Thorarollen wurden aus den Schreinen gerissen, wertvolle Gegenstände wurden gestohlen; Geschäfte,Werkstätten   Wohnhäuser jüdischer Bürger wurden demoliert; der sich selbst als „Volksjustiz“ bezeichnenden Mob tötete Dutzende Menschen; und den jüdischen Gemeinden wurde die Zerstörung im Nachhinein von der NS-Bürokratie in Rechnung gestellt.

Dies geschah vor den Augen aller, flächendeckend, überall in Deutschland. Und doch waren die Ereignisse an diesem 9. November erst das Vorspiel zum Holocaust, der zur Tragödie der europäischen Juden wurde.

Und in Schwabach?

Wir wissen: die Synagoge brannte nicht; sie war in den Monaten vorher in den Besitz einer Brauerei in der Stadt übergegangen und zum Lager für Bierfässer bis in die 90er Jahre des 20. Jahrhunderts geworden. Dies ist eine eigene Geschichte. In einer kurzen Zwischenphase vom Ende des Zweiten Weltkrieges bis 1948 diente sie den in Schwabach untergekommenen jüdischen Überlebenden des Holocaust als Synagoge.

Auch dies ist eine eigene Geschichte.

Es gab Steinwürfe und Schmierereien auf und an Wohn- und Geschäftshäuser jüdischer Schwabacher. Das wissen wir aus Zeitzeugenberichten. Und daraus wissen wir auch, dass etliche Schwabacher den Zug nach Nürnberg nahmen, dort an den Ausschreitungen der Nazis teilnahmen – die Nürnberger Synagoge brannte nieder, der Mob raste – und dann ins kleinstädtische Idyll Schwabachs zurückkehrten.

Antisemitismus war die Triebfeder dafür und ist bis heute Gift eines fundamentalen Extremismus.

Aus diesem Grund ist es an der Zeit, sich einmal näher mit einem jüdischen Schicksal und den Folgen des Antisemitismus im Schwabach des 18. Jahrhundert zu befassen: 23 Jahre lang - von 1713 bis 1736 - war nicht weit von hier, im Gefängnisturm am sogenannten Ausfluss, der jüdische Landesrabbiner in Schwabach, Hirsch Fränkel, in Einzelhaft in Ketten gelegt. Bislang erinnern ein kurzer Eintrag im Stadtlexikon und das wenig bekannte Buch des israelischen Forschers Isak Nethanel Gath mit dem Titel „Der Hexenmeister von Schwabach“ daran.

Und es gab in Schwabach einen Heimatschriftsteller, der in den Jahren vor der Pogromnacht und auch noch danach mit unverhohlenen antisemitischen Aufsätzen in der „Heimat“, einer Beilage des Schwabacher Tagblatts in dieser Stadt eine öffentliche Plattform hatte, damit dazu beitrug, den Boden für diese Exzesse zu bereiten. Nach seinem Tod im Jahr 1958 wurde im selben Jahr eine Straße nach ihm benannt - dies ist bis heute unverändert so: Heinrich Krauß.

Die Schwabacher Stadtgesellschaft und die kommunalpolitisch Verantwortlichen sind gefordert, sich nun - nach einigen Anläufen in den vergangenen 20 Jahren - lösungsorientiert mit diesem Thema zu befassen. Wegsehen und Gleichgültigkeit sind hier nicht angemessen.

Wieso der 9. November? Und welche Bedeutung hat der 9. November in der deutschen Geschichte?

Am 9.11.1848 wurde der Demokrat und Abgeordnete des Paulskirchenparlaments, Robert Blum in Wien hingerichtet. Die sog. Märzrevolution fand damit ihr Ende.

An diesem Tag war 1918 der Erste Weltkrieg zu Ende; der Kaiser flüchtete durch die Hintertür, es war Revolution; nationalistisch Denkenden ein unerträglicher Gedanke. Unter anderem dies nahm Hitler am 9. November 1923 zum Anlass zu seinem inszenierten Putschversuch in München.

Der 9. November ist so zum symbolischen Datum des Nationalsozialismus geworden. Daher auch die grausam inszenierten Ereignisse an diesem Tag im Jahr 1938.

Nicht in Vergessenheit geraten soll das mutige Handeln einer einzelnen Person: Georg Elser, der am 8.11.1939 - bei einer Veranstaltung der NSDAP im Münchner Bürgerbräukeller (wiederum inszeniert; der 9.11. als Symboldatum der NS) eine Bombe zündete, die Hitler nur um wenige Minuten verfehlte.

Dass sich dann sich im Jahr 1989 ausgerechnet zu diesem Datum die Mauer in Berlin öffnet, darf eher dem historischen Zufall zugerechnet werden.

Sie sehen, Gründe gibt es genug für eine Gedenkfeier hier unter den Rathausarkaden.

Der Oberbürgermeister berichtet immer wieder von einzelnen Schmähund Hetzschreiben an ihn - mit antisemitischem Ton. Wir sehen an den Erinnerungstafeln zum jüdischen Leben in der Stadt immer wieder Zerstörungen. Wir sehen auch in Schwabach die Auflösung der Tabugrenzen, nicht mit rechtsextremen Kräften gemeinsam auf die Straße zu gehen. Von den meist anonymen Kommentaren und Posts in der digitalen Welt will ich gar nicht sprechen.

Wir haben keinen Grund anzunehmen, dass Schwabach ausgenommen sei von der Gesamtgesellschaftlichen Entwicklung eines sich radikalisierenden Extremismus.

Ich freue mich darüber, dass die Initiative für Demokratie – gegen Rechtsradikalismus seit Jahren diese Gedenkfeier organisiert! Wir haben in Schwabach seit Jahrzehnten ein Forum, auf dem sich alle engagierten Kräfte treffen, um gegen die Gefahren und Gefährdungen des Rechtsextremismus eine positive Grundhaltung zu setzen: für Demokratie, Toleranz und Vielfalt.

Demokratie und die offene Gesellschaft sind keine Passivkonzepte - sie erfordern das aktive Engagement.

Wir haben in Schwabach eine lebendige und bürgerschaftlich engagierte Zivilgesellschaft, eine demokratische Kultur des Austauschs. Das ist die besondere Qualität, die wir immer wieder aufs Neue erarbeiten müssen.

Und das ist eine der Antworten auf die Frage nach der Funktion des Gedenkens für die Gegenwart und für die Zukunft.

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