Großer Grüner Erfolg, aber es gibt noch viel zu tun

Seit ihrer Gründung kämpfen die Grünen um den Atomausstieg, nun scheint dieser Kampf endgültig gewonnen. Der Sonderparteitag in Berlin hat den Weg für einen Atomkonsens im deutschen Bundestag und für eine Zustimmung der Grünen Bundestagsfraktion zur erneuten Novelle des Atomgesetzes freigemacht. Die noch im Herbst von der schwarz-gelben Bundesregierung als „epochal“ bezeichnete Laufzeitverlängerung ist damit vom Tisch. Die sieben ältesten Meiler und der Pannenreaktor Krümmel gehen endgültig vom Netz, die restlichen AKWs werden schrittweise abgeschaltet, spätestens 2022 wird das Kapitel Atomkraft in Deutschland endgültig beendet sein.

Claudia Roth stellte denn auch gleich in ihrer Eröffnungsrede unter großem Applaus klar, dass die Kehrtwende der Regierung einen Sieg der Grünen darstellt und ließ die lange Geschichte der Anti-AKW-Bewegung bis hin zu den großen Demonstrationen gegen die Laufzeitverlängerung noch einmal Revue passieren.

Warum taten sich dennoch so viele Delegierte so schwer mit ihrer Entscheidung? Die Gegner des vom Bundesvorstand vorgelegten Leitantrages hatten durchaus nachvollziehbare Gründe, die auch im Beschluss benannt werden: Die von der Bundesregierung vorgesehene unsinnige „Kaltreserve“ ist ebenso ein Pferdefuß wie die noch offene Frage, ob Gorleben weiter als Endlagerstandort präferiert wird. Außerdem bleibt der umstrittene §7d, der die Sicherheitsstandards senkt, im Atomgesetz. Die grüne Bundestagsfraktion hat gegen diesen Paragraphen Klage beim Bundesverfassungsgericht eingereicht.

Und schließlich ist das endgültige Abschaltdatum 2022 für viele fünf Jahre zu spät. Denn das Umweltbundesamt hatte nachgewiesen, dass ein Ausstieg bereits 2017 technisch möglich und umsetzbar ist. Der grüne Länderrat (kleiner Parteitag) hatte im März daher einen Beschluss gefasst, in dem es unter anderem heißt: „Wir Grüne streben an, das Atomzeitalter in Deutschland in der kommenden Legislaturperiode endgültig zu beenden und alle Atomkraftwerke endgültig still zu legen!“ Dies wurde von vielen so verstanden, dass die Grünen sich auf einen Ausstieg bis 2017 festgelegt hatten. Dies ist durch die Formulierung aber nicht unbedingt gedeckt. Die Mindestforderung an die Bundesregierung war aber schon damals die Rückkehr zum alten rot-grünen Atomausstieg. Dies hat die Bundesregierung nun teilweise sogar übererfüllt. So wird es keine Reststrommengenübertragung auf einzelne Meiler über ihr festgelegtes Abschaltdatum hinaus geben.

Dennoch ging der Entscheidung eine engagierte, streckenweise auch sehr emotionale, Debatte voraus. Redner/innen wie Gesine Agena, Sprecherin der Grünen Jugend, störten sich daran, dass die Grünen einem Gesetz zustimmen sollten, ohne dass mit ihnen über dessen Inhalt gesprochen worden sei. Toni Hofreiter konterte: Er wolle der Rücknahme der Laufzeitverlängerung zustimmen dürfen. Dass Schwarz-Gelb überhaupt aus der Atomenergie aussteigen könne, das liege, so Jürgen Trittin, an dem Erfolg des Erneuerbare-Energien-Gesetzes, dass die Grünen einst mit der SPD gegen großen Widerstand von Angela Merkel beschlossen hätten. Für eher leise Töne sorgten Gastredner Klaus Töpfer, Ex-CDU-Umweltminister und Vorsitzender der von der Bundesregierung eingesetzten Ethikkommission, und der neue Baden-Württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Töpfer betonte, er hätte gerne auch bei Sonderparteitages anderer Parteien zu diesem Thema gesprochen – ein Seitenhieb darauf, dass CDU, CSU und FDP genau diesen Schritt gescheut hatten. Für ihn und mehrere andere Redner hatte die Entscheidung des Parteitags sogar globale Dimensionen: Ein parteiübergreifender Konsens für einen Atomausstieg in Deutschland sei ein deutliches Signal und hätte Vorbildfunktion für den Rest der Welt.

Als schließlich alle Argumente ausgetauscht schienen, sorgte ein Rededuell zwischen Christian Ströbele und Renate Künast noch einmal für Stimmung auf beiden Seiten, ehe schließlich nach mehrstündiger intensiver Debatte (Cem Özdemir: „Auf Phönix sehen Sie gerade die spannendste Partei Deutschlands“) abgestimmt werden konnte.

Strittig war dabei vor allem, ob die Zustimmung zur Atomgesetznovelle an weitere Zugeständnisse der Merkel-Regierung geknüpft werden soll. Die grüne Bundestagsabgeordnete Silvia Kötting-Uhl und der grüne Landesvorsitzende von NRW, Sven Lehmann, setzten sich dafür ein. Bärbel Höhn und Klaus-Peter Murawski, früherer grüner Bürgermeister in Nürnberg und heute Leiter der Staatskanzlei in Baden-Württemberg, machten in ihren Gegenreden aber klar, dass über die weitreichenden Zugeständnisse, die vor allem Winfried Kretschmann gemeinsam mit den Länderregierungschefs herausverhandelt hatte, hinaus nichts mehr zu holen sein wird. Letztlich hätte es Merkel damit in der Hand, ob die Grünen einem Atomausstieg bis 2022 zustimmen dürfen oder nicht. Entsprechende Anträge wurden denn auch mit großer Mehrheit abgelehnt.

Aufgenommen in den Antrag wurden hingegen beispielsweise die Forderung nach einer Absicherung des Atomausstiegs im Grundgesetz – gewissermaßen als Lakmustest für Schwarz-Gelb, ob sie es wirklich ernst mit dem „endgültigen“ Atomausstieg meinen. Auch wurde noch einmal klarer herausgearbeitet, dass wir bei einer möglichen künftigen Regierungsbeteiligung versuchen werden, einen noch früheren Atomausstieg zu erreichen. Ebenfalls aufgenommen wurde ein Antrag von Ekin Deligöz, der einen Wermutstropfen des schwarz-gelben Atomausstiegs klar benennt, nämlich die zum Teil willkürlich anmutenden Abschaltdaten für die einzelnen Meiler. Dies führt beispielsweise beim AKW Gundremmingen C dazu, dass dieser Meiler fünf Jahre länger am Netz bleibt, als unter Rot-Grün noch vorgesehen.

Einig war sich die Versammlung, dass die im Bundestag anstehenden Entscheidungen keinesfalls  als Energiekonsens bezeichnet werden können. Denn die Schritte zu einer wirklichen Energiewende werden von schwarz-gelb, etwa beim Ausbau erneuerbarer Energien, nur halbherzig oder gar in die falsche Richtung, wie durch den Bau neuer Kohlekraftwerke, unternommen. Hier werden ab 2013 in der dann hoffentlich kräftig in der Bundesregierung vertretene Grüne noch einiges zum Nachbessern haben. Oder wie es Claudia Roth ausdrückte: „Frau Merkel, sie sind uns noch lang nicht los, es gibt noch viel zu tun.“
Sonder-BDK Berlin

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Fotos: Adil Oyan

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