Der verkaufte Patient

Eine ungewöhnliche Allianz aus Politik und Ärzteschaft hatte Frau Hartwig, die Verfasserin des Buches “Der verkaufte Patient “ eingeladen, um ihre kritische Sichtweise zur Entwicklung im Gesundheitssektor darzustellen. Für die Grünen war es eine Veranstaltung, um sich zu einem Thema zu informieren, das für viele eher weniger gewichtig, aber mit der bekannten Referentin dafür um so interessanter zu sein schien. Für die Ärzte dagegen war es ein Thema, das ihnen unter den Nägeln brennt, das aber so richtig niemand wahrhaben will.

Frau Hartwig ist deutschlandweit unterwegs und füllt landauf, landab Säle mit Menschen, die als Patienten in die richtigen Hände kommen möchten. Hartwig prägte für diese Menschen, die die Rolle des stummen Beitragszahlers spielen, die Bezeichnung "Bürgerpatient".

Der politische Wille in Berlin, unser bewährtes und solidarisch ausgerichtetes Gesundheitswesen den amerikanischen Verhältnissen anzupassen, läßt inzwischen viele Menschen aufschrecken. Jedem ist bekannt, dass das Gesundheitssystem in den USA nicht so funktioniert, wie man es sich als Kranker wünscht.

Ärztliche Versorgung aus einer Hand, was sich zunächst ja ganz sympathisch anhört, ist in den USA bereits verwirklicht. Dort ist von der Versicherung, dem Ärztezentrum, dem Pharmaunternehmen, der Apotheke bis hin zum Bestatter alles in einer (privaten) Hand. Gesundheitsversorgung wird dort unter den Aspekten von Gewinn und Verlust für den Investor definiert. Kranke müssen dabei zu verschiedensten Behandlungen Aufschläge selbst zahlen. Millionen US-Amerikaner können sich inzwischen eine Heilbehandlung nicht mehr leisten.

Frau Hartwig zeigte also auf, dass die geplante Gesundheitsreform zur Industrialisierung unseres Gesundheitswesens führt. Insbesondere dann, wenn die Experten und Einflüsterer der Gesundheitsministerin selbst von den Weichenstellungen profitieren. Exemplarisch nannte sie die Doppelrolle des SPD-Gesundheitsexperten Dr. Lauterbach, der gleichzeitig auch Vorstandsmitglied der Rhönklinik AG ist.

Plastisch schilderte sie zum Beispiel die Budgetierung in den Praxen: “Stellen sie sich vor, das Wasser der Feuerwehr zum Löschen von Brandfällen wird budgetiert, für einen Strohballen 20 Liter, für ein Auto 50 Liter, für ein Haus 500 Liter. Wehe, wenn die Feuerwehr mehr Wasser einsetzt. Das wird den Feuerwehrleuten vom Gehalt abgezogen." Dieses Beispiel, so Dr. Jürgen Stockhausen, beschreibt die Situation treffend. Zwar wollen Ärzten ihre Patienten medizinisch gut behandeln, müssten aber auf Grund dieser Bugetierung oft aus eigener Tasche draufzahlen.

Frau Hartiwg machte auch deutlich, dass junge Ärzte bei uns kaum mehr eine Chance haben, eine Praxis zu eröffnen bzw. zu übernehmen. Es rechnet sich nicht mehr. Die Investitionskosten in eine eigene Praxis sind kaum mehr zu schultern.

Man fragt sich allerdings, wo das viele Geld bleibt, das die Versicherten ins System einbezahlen. Frau Hartwig mahnte deshalb eindringlich: “Wir sind die Beitragszahler, wir sind die, die den Topf füllen, das Geld kommt aber nicht dort an, wo es hingehört.” Aber der wichtigste Draht ist der zwischen Patient und Arzt. Dem wird aber durch immer strengere Regelementierungen und zunehmende Verwaltungsaufgaben die Existenzgrundlage entzogen. In unserem System jedoch sagt die Kassenärztliche Vereinigung, wo und wie es es lang geht, indem sie über die Gelder der Patienten herrscht und diese nach Gutdünken verteilt. Krankenkassen werden zum Wettbewerb gezwungen und geben Beitragsgelder beispielsweise für vollkommen überflüssige Werbung aus.

Herr Roch, der Mitorgansiator der Veranstaltung im Auftrag des Ärztenetzes Schwabach und Umgebung, forderte vor allem mehr Transparenz. Noch immer denken viele Menschen, dass Ärzte sich am Gesundheitsystem bereichern könnten. Gerade deshalb müßte endlich ein Abrechnungsmodus gefunden werden, bei dem deutlich wird, wer, wie und wo etwas abrechnet. Gesprächsmedizin müßte wieder mehr Beachtung und Bezahlung bekommen. Es kann nicht sein, dass es in diesem Gesundheitssystem mehr Verwaltungsfachleute als Ärzte gebe. Es kann auch nicht sein, dass eine Assistenzärztin weniger Geld bekomme, als ein Krankenkassenangestellte.

Frau Hartwig zeigte auch auf, dass die derzeitige Bundesregierung eine Politik verfolgt, die Gesundheitskonzerne stärkt, aber zugleich den Boden für die existenzielle Vernichtung der freien niedergelassenenen Ärzte bereitet. Das Wettbewerbsstärkungsgesetz ist nichts anderes als ein Wettbewerbsverzerrungsgesetz zugunsten privater Klinikketten. Die werden so organisert sein müssen, dass Behandlungen standardisiert ablaufen und Heilbehandlungen stärker kommerzialisiert werden, damit dieser riesige Wachstumsmarkt genug Rendite für die Geldanleger abwirft. Die anderen restlichen Patienten sollen, wie schon heute, von niedergelassenen “Rest”-Ärzten für nicht kostendeckende Honorare behandelt werden.

Bei einer regen Diskussion, die von der Stadträtin Karin Holluba-Rau geleitet wurde, wurde vor allem die Betroffenheit der Patienten, auch der zukünftigen, deutlich. Die Folgen von Privatisierung von Bahn, Wasser, Energie usw. ist in den Köpfen inzwischen angekommen. Die Privatisierung unseres bis jetzt solidarisch funktionierenden Gesundheitswesens noch nicht. Noch immer denken viele beim Berufsbild Arzt an den “Gott in Weiß”, bei dem sich Macht und Geld paart.

Auch die elektronische Gesundheitskarte wurde von Zuhörern hinterfragt. Ein Tipp von Frau Hartwig dazu lautete: "Wenn sie aufgefordert werden, ein Foto dafür abzuliefern, dann schicken sie einfach ein x-belieges Foto, z.B. ihrer Katze, einen Smilie oder ähnliches."

Für Bundestagskandidatin Birgit Raab und Kreisvorstand Bernhard Spachmüller war klar, dass sich die Grünen dem Ruf nach immer stärkerer Privatisierung des Solidarsystems Gesundheitswesen nicht anschließen. Das Ziel muss es sein, die "Black box", in der das Geld der Beitragszahler verschwindet, aufzubrechen.

Weil Patient und Arzt durch die Gesundheitsreform gleichermaßen betroffen sein werden, wurde auf Anregung der Referentin ein Treff von Ärzten und Bürgerpatienten aufgegriffen. Dort sollen dann Wissen, Erfahrungen und Entwicklungen vertieft und ausgetauscht und und mögliche Aktivitäten des Widerstandes angedacht werden.

Der erste Patienten-Ärzte-Stammtisch wird am Mittwoch um 20:00 Uhr im Goldenen Stern stattfinden.


Das Veranstaltungspodium mit Stadträtin Karin Holluba-Rau, Kreisvorstand Bernhard Spachmüller, den Vertretern des Ärztenetzes Dr. Jürgen Stockhausen und Peter Roch sowie der Referentin Renate Hartwig (Foto: Birgit Raab).

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