"Es herrschte Aufbruchstimmung – und die war mit viel Chaos verbunden..."

Es waren einmal viele Männer mit langen Bärten und Frauen mit jeder Menge Stricknadeln. Die trafen sich am 16./17. März 1979 in Frankfurt, um Farbe zu bekennen: „Die Grünen“ hieß das dort ins Leben gerufene  Listenbündnis aus Umweltschützern, Kernkraftgegnern, Bürgerrechtlern, Pazifisten und Feministinnen, das unter den staunenden Augen der konservativen Öffentlichkeit zur ersten Europawahl antrat.

Manche sagen, es sei die Geburtsstunde der Grünen gewesen. Diese selbst warten mit dem Feiern noch ein bisschen. Der Parteienstatus kam nämlich erst ein Jahr später. Trotzdem. Grund genug, im Europawahljahr 2009 den Blick noch einmal 30 Jahre zurück schweifen zu lassen. Die Rother Rechtsanwälte Uwe Schreiner und Rudolf Gerber, zwei Grüne der ersten Stunde, schauten für die RHV in den Rückspiegel.


Herr Schreiner,  Herr Gerber, eigentlich sollten Sie jetzt ein Geburtstagsständchen zu hören kriegen...

Gerber: Ein Ständchen?

1979 sind „Die Grünen“ erstmals als Listenbündnis zur Europawahl angetreten. Das ist jetzt 30 Jahre her.

Schreiner: Wenn Sie gesagt hätten, das liegt schon länger zurück, hätte ich es auch geglaubt. War´ ja ´ne wilde Zeit damals...

...in der sich auch die  Gründung des Kreisverbandes Roth-Schwabach abspielte, an der Sie maßgeblich beteiligt waren. Mai 1980 - Sie erinnern sich?

Schreiner: Ich weiß noch, dass wir einen Kreisverband nach dem anderen aus der Taufe gehoben haben. Und diese Gründungsgeschichten sind meist sehr bizarr abgelaufen.

Gerber: Überaus kuriose Geschichten. Das glaubt man heute gar nicht mehr. In Roth  war doch die Sache mit dem Journalisten...

...der eigentlich nur über die Versammlung im Gasthaus „Wegscheide“ berichten sollte und dem Kreisverband dann für eine Stunde beigetreten ist, damit die Gründung überhaupt zustande kam?

Gerber: Stimmt.

Schreiner: Uwe

Gerber: Die Grünen kamen ja auch aus den unterschiedlichsten Richtungen.

Schreiner: Tatsächlich hatten sich da neben vielen vernünftigen Leuten sämtliche Querulanten der Republik versammelt – von Marxisten und Leninisten bis hin zu extrem Konservativen. Nicht umsonst ist im Gründungsjahrzehnt der Fundi-Realokrieg gelaufen.

Was hat Sie persönlich denn angetrieben, den politischen Neustart Anfang der 80er mitzugestalten?

Schreiner: Die Überzeugung. Ich war ein Aktivist von Anfang an, wobei mein Fokus auf dem ökologischen Ansatz lag und liegt. Man kam damit ein wenig exotisch und verrückt rüber – aber dieser Ansatz ist heute in der Mitte der Gesellschaft angelangt: Waldsterben, Schadstoffbelastung, Gewässerverschmutzung, Klimawandel – das sind alles Themen, die ins öffentliche Bewusstsein vorgedrungen sind. Notwendigerweise. Denn wenn das 21. Jahrhundert nicht das Jahrhundert der ökologischen Revolution wird, kriegen wir Schwierigkeiten...

1983 zogen Die Grünen samt Strickzeug und Sonnenblume erstmals in den Bundestag ein. Wie wirkte sich das auf kommunaler Ebene aus?

Gerber: Die Kommunalpolitik hat am Anfang überhaupt keine Rolle gespielt. Da war in erster Linie der Ruf nach einem gesellschaftspolitischen Aufbruch.

Schreiner: Nein, die Wurzeln grüner Politik sind nicht originär kommunalpolitisch. Ende der 70er war der Drang da, dass sich grundsätzlich etwas ändert. Vergleichbar mit einem eruptiven Vulkanausbruch, der erst mal Chaos verursacht. Das ist ja auch der Grund, warum die Grünen zehn Jahre brauchten, um zu einer Form zu finden. Dann hat man allmählich erkannt, dass die Kommunalpolitik enorm wichtig ist, um in der Gesellschaft etwas zu verändern.

Und was sollte das konkret sein?

Schreiner: Ich erinnere mich noch, wie wir in Schwabach um jeden zu fällenden Baum gekämpft haben. Nach und nach kümmerte man sich dann auch um Verkehrsführungen, Bauvorhaben und Ähnliches. Will sagen: Man hat langsam gelernt, in Zusammenhängen zu denken und zu arbeiten. Heute bringen wir im Ansbacher Kreistag, dem ich inzwischen angehöre, Dinge wie die energetische Sanierung von landkreiseigenen Einrichtungen auf den Weg. „Global denken – lokal handeln“, heißt die Devise. Wir können nicht darauf warten, dass in Bonn oder Brüssel etwas gerichtet wird. Wir müssen selber an den kleinen Schrauben drehen.

Gerber:Die Arbeit vor Ort ist auch so wichtig, weil sie im Bewusstsein der Leute ganz viel anstößt. Inzwischen fragt sich der Bürger: ´Muss ich wirklich überall mit dem Auto hinfahren?` oder ´Wie kann ich energieeffizient bauen bzw. sanieren`? Im Vergleich zu anderen Ländern wie Frankreich oder Italien  sind wir hier schon zwei, drei Schritte weiter...

...was alleine den Grünen zu verdanken ist?

Schreiner: Es ist nicht das Alleinverdienst der Grünen, sondern der Umweltbewegung insgesamt. Die Grünen sind ja sozusagen ihr parlamentarischer Arm. Aber auf diesem Gebiet ist in der Tat enorm viel erreicht worden.

Die Verwunderung über grüne Politik, wie sie anfangs in der Bevölkerung grassierte, ist  gewichen...

Schreiner: ...ja, wir haben uns als konstante, politische Kraft mit einem originären gesellschaftspolitischen Ansatz in der Bundespolitik etabliert. Auf Dauer gesehen, sind Bündnis90/Die Grünen m. E. sogar stabiler als FDP und Linke; der Marktradikalismus der FDP ist im Grunde schon gescheitert, auch wenn dies noch nicht durchgängig erkannt wird; und die Linke verkauft nur alten Wein in neuen, etwas bunteren Schläuchen, kein Erfolgsrezept, das trägt. Aber aktuell urteilen viele Bürger ´zu brav`, ´zu angepasst` über Bündnis90/Die Grünen – vor allem nach den Jahren der Regierungsverantwortung.

Gerber: Anno ´84, kurz nach unserer Kanzleigründung, war Franz-Josef Strauß zum Bundeswehrgelöbnis seines Sohnes in Roth. Da ist unser Kanzleiteam zum Festplatz marschiert, um gegen seine Politik zu demonstrieren. Es gehörte dazu, sich immer und überall öffentlich zu positionieren. Inzwischen hat ein Lernprozess stattgefunden – sowohl bei den Grünen, als auch in der Öffentlichkeit. Wir sind nicht mehr die komischen Vögel, die den Kopf unterm Arm tragen... Aber wir stellen immer noch die richtigen Fragen und geben mittlerweile sogar häufig die richtigen Antworten.

Hätte das Projekt ´Die Grünen` eigentlich auch scheitern können?

Schreiner: Natürlich. Es stand fast zehn Jahre lang spitz auf Knopf. Viele Leute sind dabei erschöpft, verzweifelt und demotiviert auf der Strecke geblieben. Ich kenne selber viele, die aufgegeben haben. Gute Leute.

Was bei einem Rückblick natürlich nicht fehlen darf, ist die Frage nach den größten Erfolgen und Niederlagen.

Schreiner: Wie gesagt: Es haben so viele Leute das Handtuch geworfen, um die es wirklich schade war. Da hatte sich ein Bewegungsprozess in Gang gesetzt, der einherging mit Schmerz und Verlust. Darüber bin ich heute noch maßlos enttäuscht. Alles in allem ist das Projekt ´grün` aber der sensationellste Erfolg in der bundesrepublikanischen Parteiengeschichte, weil die Grünen völlig neue Ansätze und Thematiken in die Politik einbringen konnten.

Sie haben ihr grünes Engagement nie ruhen lassen, Herr Schreiner?

Schreiner: Nein, aktuell bin ich grüner Stadtrat in Windsbach und Kreisrat in Ansbach.

Wie steht es bei Ihnen, Herr Gerber?

Gerber: Ich habe den aktiven Part sozusagen meiner Freu überlassen. Sie ist im Kreisvorstand der Grünen in Schwabach tätig.

Bleibt noch, nach Ihren Wünschen für die Zukunft zu fragen – mal abgesehen von guten Ergebnissen bei der diesjährigen Europa- und Bundestagswahl?

Gerber: Ich hoffe, dass die Grünen wieder etwas mehr Gewicht bekommen – vor allem an wichtigen wirtschafts- und energiepolitischen Schaltstellen. Denn wenn Firmen- oder Bankimperien zusammenbrechen – dann geht die Welt nicht unter! Aber wenn wir ökologischen Versäumnissen den Weg bereiten – dann geht alles über den Jordan!

Schreiner: In diesem Sinne wünsche ich mir, dass die Grünen eines Tages wirklich überflüssig sind und heimgehen können – nämlich dann, wenn gesichert ist, dass der Planet überlebt. Davon sind wir aber noch weit entfernt.

Interview: PETRA BITTNER

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